Der Sachverhalt
Der VPK und der Deutsche Kitaverband begrüßen, dass das Land Schleswig-Holstein mit dem ab 01.01.2021 gültigen Gesetz zur Stärkung der Qualität in der Kindertagesbetreuung und zur finanziellen Entlastung von Familien und Kommunen (KiTa-Reform-Gesetz) die Förderfähigkeit von Kindertageseinrichtungen jedes Trägers geregelt hat, für den eine Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII besteht (§ 12 Abs.1 . KiTa-Reform-Gesetz).
Diese Regelung sichert die Gleichbehandlung bei der Förderung von Kita-Trägern in Schleswig-Holstein auf der Grundlage der im § 45 SGB VIII vorgesehenen behördlichen Prüfung zur Erteilung einer Betriebserlaubnis. Zugleich folgt die Regelung der mittlerweile gängigen Praxis in vielen Bundesländern.
Allerdings räumt § 12 des KiTa-Reform-Gesetzes den Kommunen auch die Möglichkeit ein, die Förderfähigkeit nicht anerkannter Träger der freien Jugendhilfe durch den Beschluss einer Satzung auszuschließen. Ausgenommen sind Kindertageseinrichtungen in Trägerschaft von Betrieben, die die Kindertageseinrichtung für die Kinder ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreiben (Betriebs-Kindertageseinrichtungen).
Der Lübecker Bürgerschaft liegt eine Vorlage (VO/2020/09440) zu einem solchen Satzungsbeschluss vor: Ein Beschluss durch die Bürgerschaft würde die Förderfähigkeit nicht anerkannter Träger der freien Jugendhilfe in der Hansestadt Lübeck weiter ausschließen. Die Begründung des Beschlusses lautet: „Die Satzung dient der Erhaltung der durch die anerkannten Träger erbrachten hohen qualitativen Standards der Kindertagesbetreuung.“
Beschluss-Begründung fragwürdig
Aus der Sicht des VPK und des Deutschen Kitaverbandes hält diese Begründung einer Prüfung der rechtlichen und tatsächlichen Gründe nicht stand:
- Es ist allgemeine Auffassung in der fachlichen Diskussion über die qualitativen Standards der Kindertagesbetreuung in Deutschland, dass diese Standards insgesamt einer deutlichen Verbesserung bedürfen. Die Behauptung, hohe qualitative Standards seien ein Unterscheidungsmerkmal zwischen anerkannten Träger und nicht anerkannten Trägern hält einer fachlichen und wissenschaftlichen Prüfung keinesfalls stand.
So hält beispielsweise die sog. NUBBEK-Studie fest: Rund 80 Prozent der in der Studie untersuchten Betreuungsgruppen liegen hinsichtlich der pädagogischen Prozessqualität in einem Bereich mittlerer Qualität. Die Studie hält weiter fest: „Gute pädagogische Prozessqualität kommt dabei in jedem der Betreuungssettings in weniger als 10 Prozent der Fälle vor; unzureichende Qualität dagegen – mit Ausnahme der Tagespflege – in zum Teil deutlich mehr als 10 Prozent der Fälle.“ In den bedeutsamen Bildungsbereichen wie Literalität, Mathematik, Naturwissenschaft und interkulturelles Lernen liegen „über 50 Prozent der untersuchten Kindergarten- und altersgemischten Gruppen im Bereich unzureichender Qualität.“
Die Kita-Versorgung in Deutschland bedarf insgesamt einer deutlichen Weiterentwicklung, bevor – wie in der Begründung des oben genannten Beschlusses – von einer „Erhaltung der durch die anerkannten Träger erbrachten hohen qualitativen Standards der Kindertagesbetreuung“ gesprochen werden kann. Dieses Argument als Begründung für die Ungleichbehandlung von Kita-Trägern anzuführen ist nicht nur angesichts der tatsächlichen Qualitätsverhältnisse in der Kita-Versorgung wenig glaubhaft.
- Insbesondere aber in Bezug auf § 20 des KiTa-Reform-Gesetzes ist die Begründung widersprüchlich und entbehrt jeder weiteren Grundlage: Das Gesetz fordert vom Einrichtungsträger zur prozesshaften Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Kindertageseinrichtung die Wahl eines Qualitätsmanagementverfahrens. Für jede Kindertageseinrichtung sind qualifizierte Beauftragte für Qualitätsentwicklung zu benennen.
Die Tatsache, dass das KiTa-Reform-Gesetz von den Kita-Trägern ein Qualitätsmanagementverfahren fordert, zeigt, dass es zumindest voreilig ist, von einer „Erhaltung der durch die anerkannten Träger erbrachten hohen qualitativen Standards der Kindertagesbetreuung“ zu sprechen. Gäbe es die hohen qualitativen Standards bereits, wären die Bestimmungen des § 20 unter Umständen entbehrlich. Zudem haben auch nicht anerkannte Kita-Träger den Bestimmungen des § 20 zu folgen, so dass die sachliche Grundlage der Begründung der Vorlage entfällt.
- Die mit der oben aufgeführten Aussage vollzogene Einschränkung der Förderung von Einrichtungen auf solche, die von anerkannten Trägern betrieben werden, stellt zudem einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern nach § 5 SGB VIII dar, da den Eltern durch die willkürlich vollzogene Einschränkung der Förderung durch die Hansestadt Lübeck faktisch nur Kindertageseinrichtungen zur Wahl stehen, deren Träger als Träger der freien Jugendhilfe nach § 75 SGB VIII anerkannt sind.
- Faktisch empfiehlt die Beschlussvorlage für die Bürgerschaft eine lokale Fortführung der Benachteiligung unterschiedlicher Kita-Träger – obwohl das KiTa-Reform-Gesetz für das Land im Grundsatz von einer Gleichbehandlung unterschiedlicher Kita-Trägergruppen ausgeht.
In § 75 Abs. 3 trifft das Sozialgesetzbuch VIII eine Unterscheidung innerhalb der Gruppe der Träger der freien Jugendhilfe: Danach sind Kirchen und Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts sowie die auf Bundesebene zusammengeschlossenen Verbände der freien Wohlfahrtspflege anerkannte Träger der freien Jugendhilfe.
Andere freie Träger müssen sich dagegen einem gesonderten Anerkennungsverfahren unterziehen, das in § 75 Abs. 1 und 2 SGB VIII umschrieben ist.
Damit wird die Gruppe der freien Träger nach § 75 Abs. 3 SGB VIII – Kirchen, Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts und die auf Bundesebene zusammengeschlossenen Verbände der freien Wohlfahrtspflege – im System der Jugendhilfe in Deutschland bevorzugt.
Der VPK und der Deutsche Kitaverband setzen sich dafür ein, die für alle Kita-Träger geltenden tatsächlichen Benachteiligungen insbesondere bei der entscheidungsmäßigen Beteiligung und wirtschaftlichen Förderung zu überwinden. Der VPK und der Deutsche Kitaverband fordern, die rechtlich fragwürdige und nicht mehr zeitgemäße Ungleichbehandlung der Kita-Träger zu beenden.
Historisch ist die Bevorzugung der in § 75 Abs. 3 SGB VIII genannten Kita-Träger in der Zeit der Weimarer Republik und mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz 1924 entstanden. In diesem historischen Kontext hatte sie ihre sachliche Rechtfertigung vor allem durch die fürsorgerischen Leistungen dieser Trägergruppen angesichts des Kinder- und Jugend-Elends während des 1. Weltkriegs und zu Beginn der Weimarer Republik. In heutigen Zeiten kann dies keine Legitimation mehr sein.
So hat die Monopolkommission 2012 die negativen Folgen einer historisch überholten Bevorzugung weniger großer Kita-Anbietergruppen kritisiert: geringe Innovation, Überbürokratisierung und mangelndes Kostenbewusstsein (vgl. Monopolkommission 2012).
Der VPK und der Deutsche Kitaverband fordern die Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck auf, die Beschlussvorlage abzulehnen und § 12 des Kita-Reform-Gesetzes ohne Einschränkung anzuwenden.
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