Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe vom 01.06.2022

Stellungnahme vom 23.06.2022

Vorbemerkung

Bereits im Jahr 2018 hat der VPK-Bundesverband e.V. durch Beschluss der Delegiertenversammlung die Forderung erhoben, dass der Gesetzgeber von einer Kostenheranziehung junger Menschen auf Grundlage von § 94 Abs. 6 SGB VIII absehen solle, da diese Regelung die Entwicklung junger Menschen nicht fördert, sondern hemmt. Die damalige Kostenheranziehung in Höhe von 75 % des Einkommens gab den jungen Menschen nicht den wünschenswerten Anreiz, einer Erwerbstätigkeit oder auch sonstigem Engagement nachzugehen, sondern wirkte vielmehr demotivierend. Sie missachtete zudem das allgemeine Ziel des SGB VIII, nach dem junge Menschen in ihrer Entwicklung zu selbstständigen Erwachsenen gefördert werden sollen.

Aus diesem Grund trat der VPK konsequent für eine vollständige Abschaffung der Kostenheranziehung junger Menschen ein und brachte dies in verschiedenen Stellungnahmen, Positionierungen und Gesprächen entsprechend zum Ausdruck. In dem im Sommer 2021 in Kraft getretenen reformierten KJSG einigten sich die Regierungsparteien leider im Rahmen eines politischen Kompromisses nur auf eine Absenkung des Kostenbeitrags auf 25 % des aktuell monatlichen Einkommens mit Ausnahmen und Freibeträgen für Einkommen aus Praktika, Ferienjobs, Ausbildungsvergütung und sonstigem Engagement. Diese Entscheidung begrüßte der VPK zwar grundsätzlich, blieb aber aus den genannten Gründen im Sinne junger Menschen bei seiner Forderung nach einer vollständigen Abschaffung des Kostenbeitrags.

Aktueller Entwurf entspricht langjähriger Forderung des VPK

Dieser Forderung wird mit dem nun vorliegenden Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe endlich entsprochen. Der Entwurf sieht die vollständige Abschaffung der Kostenheranziehung für junge Menschen im SGB VIII vor und folgt damit der Formulierung im aktuellen Koalitionsvertrag, nach der „Heim- und Pflegekinder eigene Einkünfte komplett behalten können sollen“.

Der VPK-Bundesverband e.V. begrüßt insoweit den vorliegenden Referentenentwurf und die darin formulierten konkreten Vorschläge der vollständigen Streichung der Kostenheranziehung gemäß § 94 Abs. 6 SGB VIII für junge Menschen, zu denen auch die Leistungsberechtigten nach § 19 SGB VIII und deren Ehegatten und Lebenspartner gehören, und plädiert diesbezüglich für eine schnellstmögliche Umsetzung mit Verweis auf die im Entwurf formulierte Begründung der Bundesregierung:

„Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe ist, junge Menschen darin zu unterstützen, sich zu einer selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Persönlichkeit zu entwickeln. Junge Menschen sollen darin gestärkt und dazu motiviert werden, Verantwortung zu übernehmen für einen erfolgreichen Weg in ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben. Die Heranziehung junger Menschen zu den Kosten der Leistung widerspricht diesem Auftrag der Kinder und Jugendhilfe. Wachsen junge Menschen außerhalb ihrer Herkunftsfamilie auf, haben sie bereits mit zusätzlichen Herausforderungen umzugehen und dadurch einen schwierigeren Start in ein eigenständiges Leben. Dieser Start wird nochmal erschwert, wenn sie einen Teil ihres Einkommens, das sie zum Beispiel im Rahmen eines Schüler- oder Ferienjobs oder ihrer Ausbildung verdienen, abgeben müssen. Das Erreichen selbst gesteckter Ziele wie zum Beispiel die Finanzierung eines Führerscheins, die Finanzierung einer Reise, das Erarbeitung von Startkapital für ihre Zukunft, wird erschwert bzw. dauert insgesamt länger. Damit können Erfolgserlebnisse durch eigenes Engagement unerreichbar erscheinen, gerade auch im Vergleich mit Gleichaltrigen, die ihre Einkommen behalten dürfen. Die Motivation, sich Ziele zu setzen und sich für diese einzusetzen, wird dadurch gedämpft. Dies kann zur Folge haben, dass eine Ausbildung gar nicht erst begonnen oder einer anderen Beschäftigung nicht nachgegangen wird. Dadurch werden nicht nur die Chancen der jungen Menschen am Arbeitsmarkt eingeschränkt, den jungen Menschen fehlen letztlich auch Mittel, um finanziell unabhängig zu werden.“

Mit Sorge betrachtet der Verband die gegebenenfalls zu erwartende Zurückhaltung bzw. ablehnende Haltung der kommunalen Gebietskörperschaften, die eine weitere Reduzierung ihrer Einnahmeseite ohne Kompensation befürchten. Hier bedarf es sicher noch einiger Überzeugungsarbeit und gegebenenfalls der Inaussichtstellung eines finanziellen Ausgleichs – der sich zu einem großen Teil aber schon aus einer zu erwartenden Reduzierung des Verwaltungsaufwands ergeben dürfte – um das Ziel der Abschaffung der Kostenheranziehung nicht unnötig bei der erforderlichen Zustimmung des Bundesrates zu gefährden.

Kritik an verzögerter Umsetzung der Abschaffung der Kostenheranziehung

Bei aller Wertschätzung und Unterstützung des Vorhabens einer Abschaffung der Kostenheranziehung für junge Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe bedauert der VPK, dass dieser wichtige Vorstoß erst jetzt erfolgt und eine vollständige Abschaffung der Kostenheranziehung nicht bereits mit Inkrafttreten des KJSG im Sommer 2021 vollzogen wurde. Unnötigerweise wurde bei der Kostenheranziehung junger Menschen erst vor einem knappen Jahr eine Reduzierung der Kostenheranziehung von 75 % auf 25 % des monatlichen Einkommens vollzogen, was einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand auf Seiten der Jugendämter nach sich zog. Dieser wird nunmehr erneut entstehen, da Verwaltungsverfahren wieder umgestellt werden müssen. Hierbei handelt es sich um einen unnötigen und vermeidbaren Bürokratieaufwand auf verschiedenen Ebenen, der mit entsprechender politischer Weitsicht hätte vermieden werden können.

Weiterer Regelungsbedarf

Im Hinblick auf die inklusive Ausrichtung des SGB VIII und die angestrebte Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und jungen Erwachsenen – ob mit oder ohne Behinderung – möchte der VPK noch auf die Berücksichtigung einer weiteren wichtigen Zielgruppe hinweisen, deren Interessen im vorliegenden Entwurf aktuell nicht berücksichtigt werden:

Nach § 122 SGB III haben Menschen mit Behinderungen während einer Berufsausbildung oder berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme (einschließlich einer Grundausbildung), einer individuellen betrieblichen Qualifizierung im Rahmen der unterstützten Beschäftigung nach § 55 SGB IX und einer Maßnahme im Eingangsverfahren oder Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen oder bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 SGB IX Anspruch auf Ausbildungsgeld, wenn kein Anspruch auf Übergangsgeld besteht.

Der vorliegende Gesetzentwurf zur Kostenheranziehung begünstigt junge Menschen, die eine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt absolvieren, da im Hinblick auf diese Ausbildungsvergütung künftig keine Kostenheranziehung mehr erfolgen wird. Für junge Menschen mit Behinderung (in Pflegefamilien oder nach § 34 oder §35 a SGB VIII), die ein Ausbildungsgeld nach § 122 SGB III erhalten, wird dieses nach § 93 Abs. 1 S. 3 SGB VIII hingegen als Geldleistung angerechnet, die nicht als Einkommen angesehen wird und somit zur Finanzierung der Jugendhilfemaßnahme einzusetzen ist. Für viele junge Menschen, die in stationären Formen der Jugendhilfe leben, wird somit der gesamte Betrag des Ausbildungsgeldes einbehalten, was zu einer konkreten Benachteiligung von Menschen mit Behinderung führt.

Diese weiterhin bestehende Lücke sollte aus Sicht des VPK aus Gründen der Gleichbehandlung im Interesse von jungen Menschen mit Behinderung zeitgleich geschlossen werden.

Fazit und weitergehende Forderung zur Gesetzesevaluierung

Der VPK-Bundesverband e.V. begrüßt den vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe. Die vollständige Abschaffung des Kostenbeitrags war aus Sicht des Verbandes längst überfällig.

Gleichwohl bedauert der VPK, dass die vollständige Abschaffung der Kostenheranziehung erst zum 01.01. 2023 vorgesehen ist. Es wäre wünschenswert gewesen, dass eine vollständige Abschaffung der Kostenheranziehung bereits Teil des im Sommer 2021 in Kraft getretenen KJSG gewesen wäre.

Im Sinne der inklusiven Ausrichtung des SGB VIII sollten unbedingt auch die Interessen von jungen Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden und der Entwurf daher an der o.g. Stelle nachgebessert werden. Die fehlende Berücksichtigung dieses Aspektes würde eine Ungleichbehandlung junger Menschen mit und ohne Behinderungen bedeuten, die vom Gesetzgeber so sicher nicht intendiert ist.

Der VPK vertritt bundesweit die Interessen privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe. Dabei ist es dem Verband u.a. ein wichtiges Anliegen, auf Ungleichbehandlungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe hinzuweisen und auf ihre Abschaffung zu drängen. Die Leistungsfähigkeit, Qualität und Flexibilität privater Träger wird durch ihre vielfältigen und bedarfsgerechten Angebotsstrukturen bei den sich verschärfenden Herausforderungen in der Kinder- und Jugendhilfe zunehmend unverzichtbar – dies erfordert endlich auch deren rechtliche Gleichstellung im SGB VIII.

VPK-Bundesverband e.V.

Kontakt / Ansprechpartner
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Hintergrund

Der VPK-Bundesverband ist der einzige bundesweite Dachverband für private Träger der freien
Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe. Er ist politisch und finanziell unabhängig und wird durch die Beiträge der Mitglieder der Landes- und Fachverbände finanziert, die auf Grundlage des Sozialgesetzbuches verschiedene Dienstleistungen in der Kinder- und Jugendhilfe erbringen.
Der VPK wird zur Interessenvertretung seiner Mitglieder gegenüber Politik und Gesellschaft aktiv. Er ist nach seinem Selbstverständnis qualitäts- und leistungsorientiert und in verschiedenen übergreifenden Gremien bundesweit vertreten. Der Verband wird in allgemeinen und grundsätzlichen Fragestellungen der Kinder- und Jugendhilfe initiativ, verfasst Stellungnahmen, unterhält eine Internetseite und gibt die Fachzeitschrift „Blickpunkt Jugendhilfe“ heraus.