VPK-Positionspapier zum Fachkräftebedarf in der Kinder- und Jugendhilfe

Veröffentlicht am 17.02.2020

Positionspapier zum Fachkräftebedarf in der Kinder- und Jugendhilfe


Ausgangslage

Die Diskussion um einen Mangel an Fachkräften in bestimmten Berufsfeldern beherrscht inzwischen regelhaft den gesellschaftlichen Diskurs. Vor dem Hintergrund stetig wachsender Aufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe und steigender Fallzahlen war es nur eine Frage der Zeit, wann der Fachkräftemangel auch hier spürbar wird. Gut ausgebildetes Personal fehlt inzwischen in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe. So muss nach dem im Jahr 2018 veröffentlichten Nationalen Bildungsbericht bei eher konservativen Annahmen und weitgehend ohne Berücksichtigung eines eigentlich notwendigen Qualitätsausbaus im Kita-Bereich von 300.000 bis 500.000 fehlenden Erzieherinnen und Erziehern bis zum Jahr 2025 ausgegangen werden. Aber auch in den Feldern Hilfen zur Erziehung (16.000), Kinder- und Jugendarbeit (21.500) und für die Arbeit des ASD (2.800) mangelt es schon heute an qualifiziertem Personal . Hinzu kommt der erheblich höhere personelle Mehrbedarf an pädagogischen Fachkräften, der mit dem geplanten Ausbau der Ganztagsbetreuung an Grundschulen sowie der eventuell kommenden Inklusion im Zuge der SGB-VIII-Reform derzeit noch nicht exakt prognostizierbar ist, aber bereits heute einkalkuliert werden muss.

Bedarf an qualifizierten Fachkräften wurde unterschätzt

Der steigende Bedarf an qualifizierten Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe kam nicht überraschend. Vielmehr zeichnete sich die Entwicklung vor dem Hintergrund eines kontinuierlich steigenden Bedarfs an Plätzen in der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe, des Ausbaus der Kitaplätze und des Ganztagsangebots an Grundschulen und auch im Hinblick auf die mit der anstehenden Reform des SGB VIII verbundenen Veränderungen (Stichwort Inklusion) seit Jahren ab. Es entstand jedoch der Eindruck, dass der zunehmende Personalbedarf von der Politik und den Verantwortlichen in der Kinder- und Jugendhilfe zu lange nicht erkannt bzw. deutlich unterschätzt wurde. Zwar wurde in den vergangenen Jahren damit begonnen, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen, diese reichen jedoch bei weitem nicht zur Deckung des o.g. Bedarfs an qualifizierten Fachkräften aus.

Folgen des Fachkräftemangels

Aufgrund der Versäumnisse bei der Ausbildung fällt es Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zunehmend schwerer, freie Stellen mit geeigneten Fachkräften zu besetzen. Dies wirkt sich nicht nur kritisch auf die Betreuungsqualität der Kinder und Jugendlichen aus, sondern führt gleichzeitig zu einer anhaltenden Überlastung der Fachkräfte. Nicht selten führt der Mangel sogar dazu, dass vorhandene (freie) Plätze aufgrund fehlenden Personals nicht vergeben werden können oder Gruppen sogar vorübergehend geschlossen werden müssen.

In der ambulanten und stationären Kinder- und Jugendhilfe erfordern immer komplexer werdende Störungsbilder bei Kindern und Jugendlichen zwingend gut ausgebildetes, belastbares und engagiertes Fachpersonal – sowohl in den Einrichtungen als auch in den Jugendämtern. Hier liegen die Gründe für den zunehmenden Mangel aber nicht nur in fehlenden Ausbildungsplätzen, sondern auch in einer hohen Belastung der Fachkräfte, einer immer noch unzureichenden Bezahlung, der nach wie vor fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung für das wichtige Berufsfeld als auch in veränderten Einstellungen und Erwartungen angehender Nachwuchskräfte an den Beruf.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen besteht die Gefahr, dass eine fachlich überzeugende, zuverlässige und den Interessen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien entsprechende Betreuung zunehmend schwerer sichergestellt werden kann, obwohl sie dringend benötigt wird. Die nachfolgend beschriebenen Lösungsansätze sollen aufzeigen, wie dem entgegengewirkt werden kann.

Lösungsansätze zur Personalgewinnung

Erhöhung der Ausbildungskapazitäten und Qualifizierung bestehender Ausbildungsgänge

Wichtigste Maßnahme zur Abwendung des Fachkräftemangels ist die Erhöhung der Ausbildungskapazitäten an Fach- und Hochschulen. Neben der quantitativen Ausweitung des Ausbildungsangebots gilt es, bestehende Ausbildungsgänge auch qualitativ weiterzuentwickeln. Die Anforderungen an das Personal in der Kinder- und Jugendhilfe werden immer komplexer und heterogener. Den veränderten Bedingungen muss in den Ausbildungsprofilen entsprechend begegnet werden.

Schaffung staatlich finanzierte Ausbildungs- und Praktikumsplätze

Weiterhin gilt es, auch die strukturellen Rahmenbedingungen für Einrichtungen zu verbessern, damit diese überhaupt in die Lage versetzt werden, ausbilden zu können. Hierfür bedarf es Veränderungen in den Finanzierungsregelungen von Ausbildungs- und Praktikumsplätzen in Einrichtungen der Kinder- Jugendhilfe. Die derzeitige Situation ist unbefriedigend, da transparente und verbindliche Regelungen fehlen und nur in einem (kleinen) Teil der Einrichtungen Praktikumsplätze in den Betriebserlaubnissen überhaupt benannt sind und somit auch vergütet werden können. Die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sind von Bundesland zu Bundesland verschieden. Auch müssen Anleitungszeiten für Praktikanten*innen im Stellenplan verbindlich berücksichtigt werden, denn viele Träger würden ihr fachliches Know-how gerne zur Verfügung stellen, um junge Menschen für die Heimerziehung zu gewinnen.

Bundesweite Vereinheitlichung des Fachkräftebegriffs | Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher

Die Definitionen von anerkannten Fachkräften im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe in den verschiedenen Bundesländern gleichen derzeit einem Flickenteppich. So weichen nicht nur die Bezeichnungen ausgebildeter Fachkräfte voneinander ab, sondern auch die Ausbildungswege und -modalitäten sind oftmals nicht miteinander vergleichbar. Dies führt zu ungleichen Zugängen in den Beruf und dazu, dass ausgebildete Fachkräfte bei Arbeitgeber- oder Wohnortwechseln sowie Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe bei Neueinstellungen vor erhebliche Probleme gestellt werden. Es gilt daher bundesweit einheitliche Ausbildungsgänge zu schaffen und die Berufsbezeichnungen entsprechend zu vereinheitlichen; Abweichungen dürfen nur den Einzelfall betreffen.

Zudem sollte der Ausbildungsgang des „Jugend- und Heimerziehers“ in allen Bundesländern eingeführt und anerkannt werden. Dieser Ausbildungsgang bereitet in überzeugender Weise auf die heutigen Anforderungen in der Heimerziehung vor und sollte deshalb über das Bundesland Baden-Württemberg hinaus angeboten werden.

Ausbau und Förderung der praxisintegrierten (dualen) und vergüteten Ausbildung

Mit dem Bundesprogramm „Fachkräfteoffensive Erzieherinnen/Erzieher“ hat Familienministerin Franziska Giffey einen wichtigen Anstoß für die Themen „Duale Ausbildung“ und „Ausbildungsfinanzierung von Anfang an“ im Bereich der frühkindlichen Bildung und Betreuung gegeben. Mit den drei „P“ fürs Personal sollen die praxisintegrierte vergütete Ausbildung für Erzieher*innen gefördert, eine gute Praxisanleitung durch professionelle Begleitung der Fachschüler*innen ermöglicht und neue Perspektiven mit dem Aufstiegsbonus für Profis geschaffen werden.  Bereits bestehende Ausbildungsformate wie z.B. die praxisintegrierte Ausbildung PiA in Baden-Württemberg sollen damit ausgeweitet und als Best-Practice-Beispiele in andere Bundesländer übertragen werden.

Auch für den Bereich der ambulanten und stationären Betreuung gilt es nun, diese Modelle zu prüfen, bestehende Ausbildungs- und Weiterbildungsformen fortzuentwickeln, anzupassen und Auszubildenden bundesweit anzubieten. Einhergehend mit einer angemessenen Bezahlung vom ersten Ausbildungsjahr an kann die praxisintegrierte duale Ausbildung wesentlich dazu beitragen, die Ausbildung von Erzieher*innen attraktiver zu gestalten und mehr junge Menschen für den Beruf zu gewinnen.

Angemessene Vergütungen in der Kinder- und Jugendhilfe

Die Bezahlung pädagogischer Fachkräfte in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe muss angepasst und an den stetig wachsenden Herausforderungen des Berufsfeldes ausgerichtet werden. Wie eingangs bereits erwähnt, sind die Anforderungen an das Personal in der Heimerziehung wie auch im Kita-Bereich in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. So hat sich nicht nur die Klientel in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe verändert, sondern es haben auch die Anforderungen in den Bereichen Kinderschutz, Beteiligung, Dokumentation, Prävention und Verwaltung in einem Maße zugenommen, dass dies eine Anpassung aktueller Gehälter notwendig werden lässt.

Verkürzung der Ausbildungszeit von Erzieher*innen auf drei Jahre

Analog zu den abweichenden Definitionen des Fachkraftbegriffs und den bundesweit unterschiedlichen Ausbildungsformen weichen auch die Ausbildungszeiten im bundesweiten Vergleich voneinander ab. Auch in diesem Bereich sollte eine Vereinheitlichung erfolgen und die Ausbildungszeit von Erzieher*innen bundesweit auf drei Jahre verkürzt werden.

Förderung der akademischen Weiterqualifizierung

Die Ausbildung an Fachschulen ist derzeit über alle Bundesländer hinweg die übliche und bewährte Form der Erzieher*innen-Ausbildung; dies soll so auch beibehalten werden. Durch die gestiegenen Qualitätsanforderungen aus den oben genannten Gründen sollten weitergehende akademische Zusatzqualifikationen an Hochschulen angeboten werden, um einerseits den steigenden Bedarf und andererseits zusätzliche Karrierechancen zu ermöglichen.

Bundesweite Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse

Die Gewinnung, Qualifizierung und Beschäftigung von Migrant*innen muss verstärkt verfolgt und nach bundesweit einheitlichen Verfahren ermöglicht werden. Hierfür müssen entsprechende personelle Ressourcen bereitgestellt, Zuständigkeiten geklärt und bürokratische Hürden abgebaut werden. In erster Linie gilt es, transparente und zügige Verfahren zur Anerkennung im Ausland erworbener Abschlüsse und praktischer Vorerfahrungen einzuführen. Die Aneignung von Sprachkenntnissen muss ausbildungsvorbereitend und -begleitend vereinfacht und damit sichergestellt werden, dass die zukünftigen Fachkräfte zum Abschluss ihrer Ausbildung über die notwendigen deutschen Sprachkompetenzen verfügen.

Beschäftigung und Qualifizierung von Quereinsteiger*innen in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe

Gut und praxisnah ausgebildete Fachkräfte bilden das Fundament der erfolgreichen Arbeit von Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Im Hinblick auf sich wandelnde gesellschaftliche Gegebenheiten und Anforderungen an das Personal in den Einrichtungen sollten jedoch auch andere als rein pädagogisch ausgebildete Personen Bestandteil des Personals in Einrichtungen sein. Denn anders qualifizierte, engagierte und persönlich geeignete Menschen können eine wertvolle Ergänzung des „klassischen“ Personals im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe darstellen. Wichtig ist, dass die Quereinsteiger*innen entsprechend ihrer individuellen Vorbildung und Berufserfahrung berufsbegleitend ausgebildet bzw. entsprechend weiterqualifiziert werden. Damit soll sichergestellt werden, dass diese Mitarbeiter*innen nicht nur optimal für ihre Tätigkeiten in den Einrichtungen qualifiziert werden, sondern auch im Hinblick auf spätere berufliche Tätigkeiten anschlussfähig sind.

Zeit, Verantwortung zu übernehmen!

Der Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendhilfe macht deutlich, dass es höchste Zeit ist, sich im Interesse der Kinder und Jugendlichen der gemeinsamen Verantwortung zu stellen! Qualifizierte Fachkräfte bilden die Basis für eine erfolgreiche Umsetzung von Hilfen für Kinder und Jugendliche. Deshalb müssen die Entscheidungsträger in Bund, Ländern und Gemeinden dringend die dafür notwendigen Rahmenbedingungen schaffen und auf Dauer sicherstellen.

Der VPK fordert:

  • Eine Erhöhung der Ausbildungskapazitäten sowie die Qualifizierung bestehender Ausbildungsgänge
  • Die Schaffung staatlich finanzierter Ausbildungs- und Praktikumsplätze
  • Die bundesweite Vereinheitlichung des Fachkräftebegriffs
  • Die bundesweite Anerkennung der Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher
  • Den Ausbau und die Förderung der praxisintegrierten (dualen) und vergüteten Ausbildung
  • Angemessene Vergütungen in der Kinder- und Jugendhilfe
  • Die Verkürzung der Ausbildungszeit von Erzieher*innen auf drei Jahre
  • Die Förderung der akademischen Weiterqualifizierung
  • Die bundesweite Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse
  • Die Möglichkeit der Beschäftigung von Quereinsteiger*innen


VPK-Bundesverband e.V. Berlin, Februar 2020