VPK-Stellungnahme zum Beschluss des Bundesrates

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Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe / Beschluss des Bundesrates

Ausgangslage

Die Verbesserung des Kinderschutzes in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ist u.a. Gegenstand der seit Jahren diskutierten und mehrfach verschobenen Weiterentwicklung des SGB VIII, die gem. Koalitionsvereinbarung in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll.

Ungeachtet des laufenden Gesetzgebungsverfahrens sieht sich der Bundesrat veranlasst, davon unabhängig den Kinderschutz in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe aus diesem Gesetzesvorhaben herauszulösen und durch den Deutschen Bundestag vorab beschließen zu lassen.

Der Bundesrat hat auf Initiative von drei Bundesländern den Beschluss gefasst, mit einem Gesetzentwurf den Schutz von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe zu stärken. Dabei sollen vor allem die Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden erweitert werden. Auch örtliche Prüfungen sollen im Rahmen von Ermittlungs- und Betretungsrechten verstärkt und ohne Anmeldungen möglich werden. Zudem verschärft der Gesetzentwurf die Bedingungen für die Erteilung sowie den Widerruf einer Betriebserlaubnis für Jugendhilfeeinrichtungen. Schließlich legt der Entwurf eine Einrichtungsdefinition im Rahmen eines neu gefassten § 45a SGB VIII vor.
 

Gesetzentwurf torpediert Ergebnisse des Dialogprozesses zum SGB VIII

So sehr der VPK eine Optimierung des Kinderschutzes auch in Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe für notwendig erachtet, so nachdrücklich lehnt der Verband aus grundsätzlichen Erwägungen die Gesetzesinitiative des Bundesrates ab, weil sie den vorgesehen Gesetzgebungsprozess zur Weiterentwicklung des SGB VIII unnötig torpediert. Im ungünstigsten Fall kann dieses Vorgehen zu einem Erliegen des Reformprozesses zum SGB VIII in der aktuellen Legislaturperiode führen.  

Der VPK hält die beabsichtigte Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung im Rahmen des angestoßenen umfangreichen Reformprozesses im SGB VIII für zielführend, selbst wenn er auch überaus komplex und kompliziert ist. Seine konsequent am Kindeswohl ausgerichtete Orientierung führt unter den mitwirkungsorientierten Beteiligungsformen neben der Sicherstellung des hohen Gutes des Kinderschutzes auch zu einer weitergehenden Qualifizierung der für junge Menschen mit Leistungsbedarf wichtigen Angebote.  

Völlig unstrittig ist, dass für Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der stationären Kinder- und Jugendhilfe ein größtmöglicher Schutz sicherzustellen ist, der durch die Aufsichtsbehörden überprüfbar ist. Entsprechende gesetzliche und untergesetzliche Maßnahmen zum Kinderschutz wurden und werden vom VPK seit langem eingefordert und unterstützt. Der Verband hat in der Vergangenheit auf diesbezüglich bestehende Defizite in den Handlungsbereichen der Heimaufsichten in den Bundesländern hingewiesen und Verbesserungen gefordert. Die nun vorgesehene alleinige Ausweitung von Eingriffsrechten der Heimaufsichten jedoch führt weder zu einem besseren Kinderschutz, noch verbessert sie deren qualitative und quantitative Wirksamkeit. Leider verfügen die Heimaufsichten nach unserem Kenntnisstand weiterhin weder über ausreichend Personal, noch über verbindliche interne und externe Verfahrensstrukturen in der Aufsichtspraxis, um ihre anspruchsvollen Aufgaben zur Sicherstellung des Kindeswohls im Bedarfsfall sowohl sachangemessen wie auch transparent sicherstellen zu können. Hier erforderliche Verbesserungen sieht der Gesetzentwurf des Bundesrates nicht vor.   

Aus §1 Abs.2 S.2 SGB VIII ergibt sich eine Schutzpflicht des Staates bei allen Maßnahmen auf Grundlage des SGB VIII. Daraus darf jedoch nicht folgen, dass unmittelbar tätige staatliche Gewährsträger nur auf Grundlage eigenen Ermessens einen Widerruf einer Betriebserlaubnis veranlassen können, ohne dass dem von dieser Maßnahme betroffenen Träger eine Rechtsschutzmöglichkeit mit aufschiebender Wirkung eingeräumt wird. Ein derartiges Verfahren widerspricht nicht nur rechtsstaatlichen Prinzipien, sondern greift unverhältnismäßig in den grundgesetzlich geschützten Bereich von Unternehmen mit tiefgreifenden Konsequenzen ein.  Dies lehnt der VPK ab. 

Die Sicherstellung eines umfassenden Kinderschutzes in stationären Einrichtungen durch mehr Kontrollbedürfnisse darf auch nicht dazu führen, dass die erfolgreiche partnerschaftliche Zusammenarbeit von öffentlicher und freier Kinder- und Jugendhilfe Schaden nimmt. Hierbei handelt es sich um ein überaus filigranes System, das auf vielfältigen Vertrauensbeziehungen fußt.  Dieses grundlegende und unverzichtbare wechselseitige Vertrauen muss seinem Grundverständnis nach unbedingt erhalten und gleichermaßen behutsam im Sinne einer Verbesserung des Kinderschutzes fortentwickelt werden, ohne seine Fundamente zu beschädigen.  

 

Gesetzentwurf verschlechtert Kinderschutz für familienanaloge Wohnformen

Völlig unbegreiflich ist, dass im Rahmen einer vorgesehenen Verbesserung des Kinderschutzes in stationären Einrichtungen diese Absicht mit einer Neudefinition des Einrichtungsbegriffs nach § 45a SGB VIII verbunden wird. Dieses Vorhaben war bereits in der vergangenen Legislaturperiode Gegenstand des Gesetzgebungsprozesses zum SGB VIII und schon damals aus guten Gründen vom VPK abgelehnt worden. Dieses Vorhaben trägt nämlich nicht zur Verbesserung des Kinderschutzes bei, sondern gefährdet im Gegenteil Kinder und Jugendliche, die in familienanalogen Wohnformen der Kinder und Jugendhilfe, für die es bundesweit keine einheitlichen Definitionen gibt, untergebracht sind. Und dies aus folgendem Grund: Familienorientierte Unterbringungsformen der Kinder und Jugendhilfe bedürfen derzeit einer Betriebserlaubnis auf Grundlage von § 45 SGB VIII. Der aktuelle Gesetzentwurf hingegen sieht im neu hinzugefügten § 45a SGB VIIII vor, familienanalogen Unterbringungsformen diesen Einrichtungsstatus abzuerkennen mit der Folge, dass diese zukünftig nicht mehr der Betriebserlaubnispflicht und somit auch nicht mehr der Einrichtungsaufsicht durch die Aufsichtsbehörden unterliegen.  

Diese Änderung würde in erster Linie familienähnliche Erziehungssettings, Kleinstgruppen sowie Erziehungsstellen betreffen, die sich durch ihre dezentralen und weitgehend autonom lebenden kleinen familienähnlichen Wohnformen charakterisieren und ihre hochdifferenzierten Angebote zuvörderst am kindlichen Bedarf ausrichten. Diese Wohnformen zeichnen sich durch ihre Übersichtlichkeit, Verlässlichkeit sowie gelebte Intimität im Rahmen der Heimerziehung aus. Es ist aus Sicht des VPK daher völlig kontraindiziert, diese seit vielen Jahren in der Heimerziehung bewährten familienanalogen Leistungsangebote aus dem Anwendungsbereich der Heimaufsicht herauszulösen und dem kommunalen Aufsichtsbereich zu unterstellen. Familienanaloge Unterbringungsformen sind für Kinder und Jugendliche mit Mehrfachstörungen durch ihre klar strukturierten Beziehungs- und Bindungsangebote überaus wichtig, was auch die Anfragesituation für gerade diese Leistungsangebote durch die Jugendämter belegt, da diese Form der Heimerziehung den spezifischen kindlichen Bedürfnissen in hohem Maße gerecht wird. Es wäre insoweit geradezu fahrlässig, diese Angebote aus der Einrichtungsaufsicht herauszunehmen und quasi in den Status von Pflegefamilien zu überführen, die einer sehr viel geringeren Aufsicht auf kommunaler Ebene unterliegen. Dieses Ansinnen gilt es im Interesse eines wirksamen Kinderschutzes unbedingt zu unterlassen.

 

Aus den genannten Gründen fordert der VPK den Deutschen Bundestag auf, den Gesetzentwurf abzulehnen. Es sollten alle Anstrengungen auf das laufende Verfahren zur Reform des SGB VIII unter fachlichen sowie kinder- und jugendpolitischen Perspektiven gerichtet werden, um den Prozess zur Weiterentwicklung des SGB VIII in dieser Legislaturperiode erfolgreich abzuschließen.  

 

VPK-Bundesverband e.V.

Berlin, im Februar 2020